Helmut Kurtz und Stefan Röver:

Deutschland im Wettbewerb:

Herausforderungen an einen modernen liberalen Staat

 

 

Herr Stefan Röver ist ein junger und dynamischer Start-up-Unternehmer und Vorstandsvorsitzender der 1994 von ihm mitgegründeten Brokat Infosystems AG Stuttgart. Dieses Software-Unternehmen gehört zu den international führenden Anbietern von Software im Bereich von eBusiness-Lösungen und beschäftigt heute 1 300 Mitarbeiter in 16 Ländern der Welt. Im Marktsegment Internet-Banking ist das Unternehmen weltweit der Marktführer.

Im Juli 2000 wurde Herr Röver von Wirtschaftsminister Werner Müller in die Monopolkommission der Bundesrepublik Deutschland berufen. Dieses Gremium nimmt zu aktuellen wettbewerbspolitischen Fragen Stellung und besteht aus 5 unabhängigen Mitgliedern.

Nach einem Gespräch mit Helmut Kurtz (Stadtrat in Böblingen und FDP-Landtagskandidat) wurde das nachstehende Arbeitspapier unter dem Titel "Deutschland im Wettbewerb: Herausforderungen an einen modernen liberalen Staat" verfasst und der Presse am 16. Januar 2001 im Novotel Sindelfingen vorgestellt, als Herr Röver für einige Tage in Europa weilte. Er lebt seit September 2000 in San José in Kalifornien/USA, um die Geschäftsbeziehungen der Brokat-AG in den USA, vor allem im Bereich Marketing, zu erweitern.

 

Arbeitspapier Röver-Kurtz zur Pressekonferenz 16. Januar 2001

Deutschland im Wettbewerb:

Herausforderungen an einen modernen liberalen Staat

Die Bundesrepublik Deutschland steht im Wettbewerb mit vielen anderen Industriestaaten um die besten Arbeitnehmer und die leistungsfähigsten Unternehmen. Das hervorragende berufliche Bildungssystem sorgte bislang für eine hinreichende Qualifikation vieler Arbeitnehmer, die gute und leistungsfähige Infrastruktur, und ein hohes Maß an politischer Stabilität machen Deutschland als Standort nach wie vor attraktiv.

Allerdings hat der Standort Deutschland auch gravierende Nachteile: So erweisen sich das deutsche Steuer- und Rentensystem als Hindernis für die Entwicklung des Standorts Deutschland. Das Bildungssystem, insbesondere im Bereich der akademischen Ausbildung, erweist sich als zunehmend reformbedürftig. Das deutsche Arbeitsrecht ist überreguliert: Der Flächentarifvertrag, das Betriebsverfassungsgesetz und neuerdings der gesetzlich geregelte Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit schrecken Unternehmen ab.

Wenn der erkennbar bestehende Reformbedarf nicht bald auch zu den notwendigen Reformen führt, dann steht der Wohlstand in Deutschland auf dem Spiel.

Deshalb schlagen wir folgende Reformen im politischen und wirtschaftlichen System der Bundesrepublik Deutschland vor:

 

1. Wir brauchen ein Bildungssystem, das seine Absolventen auf die Herausforderungen einer modernen Wirtschaft optimal vorbereitet.

Technische, rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge müssen stärker als bisher in alle allgemeinbildenden Ausbildungsgänge aufgenommen werden; um dies möglich zu machen, müssen die Bildungspläne weiter entrümpelt werden. Im Gegenzug müssen moderne Technik und die Förderung der Medienkompetenz einen breiteren Raum einnehmen.

Auch im Bereich der Schule ist eine enge Kooperation mit Unternehmen und Betrieben anzustreben.

 

2. Die deutschen Universitäten drohen im weltweiten Wettbewerb auf einen hinteren Platz zurückzufallen. Sie müssen sich deshalb neuen Herausforderungen stellen.

Die Universitäten müssen stärker praxisorientiert lehren. Um die Anpassung an neue Herausforderungen zu erleichtern, muss der Status der Professoren flexibler und moderner gestaltet werden. Der Beamtenstatus der Professoren ist abzuschaffen.

Die Finanzierung der Universitäten ist an ihren Leistungen in Forschung und Lehre zu orientieren. Kooperationen mit Unternehmen und Betrieben sind zu erleichtern.

 

3. Das deutsche Rentensystem wird mehr und mehr zum Standorthindernis. Es ist durch ein wachsendes Missverhältnis zwischen Beiträgen und Leistungen gekennzeichnet und leidet unter den Lasten, die es aus der Vergangenheit mit sich herumträgt.

Ausländische Unternehmen und qualifizierte Arbeitnehmer aus dem Ausland werden zunehmend weniger akzeptieren, dass sie mit ihren hohen "Beiträgen" die deutschen Altersversorgungslasten der Vergangenheit mitzutragen haben. Dies gilt umso mehr bei Arbeitnehmern, die nach wenigen Jahren Deutschland wieder verlassen wollen und dann über keine eigenen Ansprüche verfügen.

Wir schlagen vor, das System der Altersversorgung vom Umlageverfahren weitgehend auf ein Kapitaldeckungssystem umzustellen, bei dem jede Generation Kapital für ihre künftige Altersversorgung bildet. Ansprüche in der Rentenversicherung sind so auszugestalten, dass sie für die Unternehmen und die Arbeitnehmer nicht zum Mobilitätshindernis werden.

Im übrigen muss sich auch die Rentenversicherung dem Wettbewerb stellen, d.h. jeder einzelne muss die Möglichkeit haben, anstelle der Rentenversicherung ein anderes System der Altersvorsorge in Anspruch zu nehmen.

 

4. Das deutsche Steuersystem ist das komplizierteste Steuersystem der Welt und hat sich schon in der Vergangenheit als wesentliche Belastung für den Standort Deutschland erwiesen. Das gilt sowohl für die Ansiedlung von Unternehmen als auch für qualifizierte Angestellte.

Wir brauchen ein einfacheres Steuerrecht, das sowohl für Bürger und Unternehmen als auch für die Steuerverwaltung einfach zu handhaben ist.

Wir brauchen niedrigere Steuersätze und nehmen dafür auch eine breitere Bemessungsgrundlage in Kauf.

Die Umsatzbesteuerung stößt im world wide web mehr und mehr an die Grenzen ihrer Praktikabilität. Wir schlagen daher vor, Leistungen, die im Internet erbracht werden, von der Umsatzsteuer freizustellen.

 

5. Die deutsche Verwaltung hat ihre Qualitäten. Aber auch sie muss sich modernen Herausforderungen stellen und sich einem ständigen Anpassungsprozess unterziehen.

Wir befürworten, dass die Anpassung durch Experimentierklauseln im Bereich des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts erleichtert wird. Das Argument "Das haben wir noch nie so gemacht." muss der Vergangenheit angehören.

Im übrigen muss durch die schnelle Einführung neuer Steuerungsinstrumente dafür gesorgt werden, dass die Verwaltung aus dem überkommenen System der Kameralistik in ein praktikables System der Input- und Outputsteuerung wechselt.

 

6. Die Bürger erwarten zu Recht von der öffentlichen Verwaltung, dass sie die Möglichkeiten der modernen Technik nutzt und ihr Serviceangebot auf diese Weise verbessert und erweitert.

Wir wollen, dass die deutsche Verwaltung auf allen Ebenen Leistungen und Informationen über das Internet anbietet und zur Verfügung stellt.

Wo immer es öffentliche Aufgabe ist, für Bürger und Unternehmen Daten und Informationen bereitzuhalten und zu verwalten, sollten diese in digitaler Form verwaltet und abgerufen werden. So werden das elektronische Grundbuch und das elektronische Handelsregister zur Qualität des Standorts Deutschland erheblich beitragen.

 

7. Die Gesetzgebung hat die Voraussetzungen für eine praktikable und rechtssichere Nutzung des Internets als Marktplatz zu schaffen.

Dazu gehört es,

 

8. Die Besteuerung von Aktienoptionen als Bestandteil einer leistungsgerechten Vergütung ist neu zu regeln. Dabei ist zu erwägen, ob neugegründete Unternehmen ihren Arbeitnehmern in der Startphase steuerfrei Aktienoptionen zuwenden können.

 

9. Das deutsche Ausländerrecht behindert die Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandortes.

Neben einem Zuwanderungsgesetz, das die Zuwanderung von qualifizierten Arbeitnehmern nach einem transparenten und einfachen System ermöglicht, schlagen wir vor, allen Menschen, die einen Hochschulabschluss an einer deutschen Universität erworben haben, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ein räumlich und zeitlich unbeschränktes Aufenthaltsrecht in Deutschland einzuräumen.

Das überkommene Arbeitserlaubnisrecht schafft eine unnötige Doppelbürokratie und verursacht für die Unternehmen in Deutschland einen erheblichen Mehraufwand, ohne einen nennenswerten Nutzen zu stiften. Wir schlagen daher vor, die Arbeitserlaubnispflicht für ausländische Arbeitnehmer abzuschaffen.

 

10. Auch das Rechtssystem wird im Zuge der Globalisierung zunehmend in den Wettbewerb mit anderen Rechtssystemen geraten. Auch die Privatrechtsordnung wird in Zukunft ein wichtiger Standortfaktor sein.

Für die Qualität einer Rechtsordnung im Wettbewerb mit anderen Systemen wird in Zukunft noch mehr als bisher ihre Offenheit und Flexibilität eine Rolle spielen.

Besonders das deutsche Arbeitsrecht bedarf vor diesem Hintergrund einer grundlegenden Reform. Das System des Flächentarifvertrags ist an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit geraten und behindert die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Regeln des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts müssen mehr Spielraum für abweichende Einzelvereinbarungen und betriebliche Regelungen schaffen. Das Betriebsverfassungsrecht muss einfacher werden und der notwendigen Handlungsfähigkeit der Unternehmen und Betriebe stärker Rechnung tragen.